Sommerfest

Vor zwei Wochen gab es zum zweiten Mal ein interkulturelles Sommerfest. Wir nennen es so, weil wir – der Hilfeverein – alle Menschen unserer Stadt dazu einladen. Hier und in den umliegenden Gemeinden leben fast 800 Menschen aus 62 Nationen. Es kamen aber außer vielen unserer neuen syrischen Mitbürger nur Deutsche. Wir hätten auch gern einige andere begrüßt.

So war es ein syrisch-deutsches Fest mit syrischen Salaten, gegrillten Hähnchen und Kabāb. Das Fleisch war wegen moslemischer Speisevorschriften extra herbeigeschafft worden. Auf einem anderen Grill lagen auch Würstchen vom Schwein. Die Kuchen waren mehrheitlich deutscher Herkunft, der Kaffee kam aus einer deutschen Kaffeemaschine. Interkulturelle Essensvielfalt.

Gemischte Gruppen aus Deutschen und Syrern hatten gemeinsam alle Vorbereitungen getroffen. In einer langen und heftigen Diskussion – meist auf Arabisch – war beschlossen worden, das Halalfleisch in Berlin besorgen zu lassen. Wichtig war auch die Menge und Beschaffenheit von Petersilie für Tabouleh (wenn ein Deutscher den Begriff mit Endbetonung ausspricht, erntet er fröhliches Gelächter ). Wir lernten auch, welche Wichtigkeit  die Zubereitung dieses schmackhaften Salates besitzt, jede Stadt in Syrien scheint ein spezielles Rezept zu haben, das unbedingt eingehalten werden muss. Unerlässlich auch das Fladenbrot, deutsches Brot wird nicht gegessen – so wie auch fast alle anderen Gerichte aus europäischer Küche mehr oder weniger klar abgelehnt werden. Gründe dafür sind nicht zu erfahren, in arabisch freundlicher Art wird beteuert, das Essen sei köstlich, aber es bleibt unberührt auf dem Tisch zurück. Das Interesse an neuen kulturellen Erfahrungen im neuen Land ist bisher anscheinend gering. Auch der Auftritt einer deutschen Sängerin wurde von lebhaftem arabischen Gespräch begleitet. Sie war bewundernswert professionell und brachte ihr Programm unter begeistertem Applaus einiger Deutscher und dem fröhlichen Tanz kleiner Syrer zu Ende.

Ein Film von Eberhard Albinski

Plötzlich Chaos: Menschen laufen, ein syrischer Halbwüchsiger mit irrem Blick ist kaum aufzuhalten, Geschrei… Ein  anderer Junge blutet, auch ein älterer Syrer.  Krankenwagen und Polizei stehen nach kurzer Zeit vor der Tür. Ich verstehe nichts.

Angeblich ist der blutende Junge einer jungen Frau körperlich zu nahe gekommen, diese hat ihm zwei Teller auf den Kopf geschlagen. Eine Platzwunde ist das Resultat. Ebenso Anzeigen wegen Körperverletzung. Offenkundig gibt es Differenzen zwischen den Familien, die handgreiflich ausgetragen werden. Fremd für mich, wenn auch auf Volksfesten hierzulande körperliche Auseinandersetzungen nicht ungewöhnlich sind.

In der Fremde

Seit fast zwei Jahren helfe ich aus dem Krieg in Syrien Geflohenen, in unserer kleinen Stadt leben zu können. Es sind Menschen anderen Aussehens, Frauen oft mit Kopftüchern. Sie sprechen eine uns bisher unbekannte Sprache, schreiben eine Schrift, die an Spuren merkwürdiger kleiner Tiere im Sand erinnert. Die Menschen erscheinen uns fremd, werden von vielen hier mit abwertender Distanz gesehen, von einigen mit Ängstlichkeit, von wenigen mit offener Ablehnung.
Ich werde versuchen, Erfahrungen mit diesen Menschen zu schildern, mir über mein eigenes Bild von ihnen klar zu werden, meine Erwartungen an sie zu formulieren, werde Erlebnisse schildern und Fragen stellen.

Die neuen Nachbarn  aus Syrien, dem Irak und aus Afghanistan sind nicht die ersten Flüchtlinge in Mecklenburg.  Auch ich war einer von denen, die 1945 aus dem Osten kamen und hier ohne Hab und Gut strandeten.
Meine Mutter war mit uns Kindern vor dem heranrückenden Krieg geflohen, ohne Dach über dem Kopf, ohne zu wissen, was ihre Familie erwartet.  Wir fanden ein Quartier zusammen mit zwei anderen Familien in einer Zwei-Zimmer-Wohnung in einem kleinen Dorf Westmecklenburgs. Eine Wäscheleine mit darüber hängender Pferdedecke markierte den Familienraum. Wir wurden als Fremde angesehen. Wenn wir auch Deutsch sprachen, klangen wir doch fremd mit der Mundart aus dem Osten und willkommen waren wir nicht.
Die Frau eines benachbarten Bauern nahm sich unser an. Sie brachte Teller und Tassen, wärmende Decken für die Nacht, das Nötigste zum Leben und das Wichtigste: menschliche Zuwendung. Wir verdanken ihr sehr viel – vielleicht das Überleben.

Siebzig Jahre später kamen wieder Kriegsflüchtlinge nach Mecklenburg, auch sie ohne materielle Habe und auf Hilfe angewiesen. Sie brauchten Dinge des täglichen Lebens, Wohnraum und menschliche Nähe. Das Nötigste bekamen sie vom Staat: eine Unterkunft, ebenso erste Hilfestellungen durch Sozialarbeiter und staatliche Institutionen, etwas Geld zum Leben. Hilfe gab es auch durch Freiwillige, die aus unterschiedlichsten Motiven den neuen Nachbarn beistehen wollten.
Ich machte mit, weil die Zeit unserer Ankunft in der Fremde mich geprägt hatte. Ich helfe in der Hoffnung, die Kinder der hierher Gekommenen werden sich eines Tages an mich erinnern, wenn Menschen aus Not fliehen müssen und Hilfe brauchen. Sie werden weitergeben, was sie bekamen, so wie ich weitergebe, was meine Familie vor siebzig Jahren von unserer Nachbarin bekam.