The Last Supper
Collage von Jörn
Im Bild von links nach rechts:
Das Ende der Gegenwart
Das Ende der Ukraine
Das Ende der Geschichte
Das Ende der irdischen Stadt
Das Ende der Hoffnung
Das Ende der Kultur
Das Ende des Abendlandes
Das Ende des Wachstums
Das Ende von Troja
Das Ende von Gott
Jeder, der WhatsApp benutzt, kennt die Status-Funktion. Heute postete jemand einen Schnipsel von YouTube11. Nach dem Klick öffnet sich der Blick auf einen Smartphonebildschirm. Ich sehe Richard David Precht, den Mann, der unablässig über die Menschheitsgeschichte nachdenkt und schnell zu klaren Resultaten kommt. Jesusgleich, in weißem Hemd, sitzt er da vor dem Mikrofon, ein sanfter Prediger: „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch …“
Die Bildästhetik sitzt: schwarz-weiß wie bei alten Fernsehansprachen eines Staatsoberhauptes. Der Blick geht knapp an der Kamera vorbei, als falle es ihm schwer, uns die Nachricht schonend beizubringen: „Die größte Bedrohung, mal eben neben den wirtschaftlichen Möglichkeiten und den wissenschaftlichen Möglichkeiten der KI, die ich oft sehr positiv sehe, ist…“ Und dann kommt’s: „dass es das Ende der Kultur ist.“ Das Sprechtempo zieht an, als wolle er die Prophezeiung rasch hinter sich bringen. Für das Wahrlich, wahrlich, … ist keine Zeit. Und dann sieht er doch in die Kamera und man meint zu hören: „Aber ehrlich, Leute, wir stehen am Abgrund.“ Dann die Inventur des Verlustes: „Hier gehen ein paar tausend Jahre menschlicher Kulturgeschichte zu Ende.“ Alle Kulturprodukte werden aus den Maschinen kommen: die Kriminalromane, Hollywoods Plots, die Songs unserer Popmusiker. Nichts wird mehr von Mensch zu Mensch weitergegeben, der Vermittlungsweg ist weg. Ich erschrecke und höre innerlich den Nachsatz: „… alles zerstört, was uns einmal menschlich gemacht hat.“ Und Richard David fährt fort: „Das Zweite, was weg ist, ist die Suche nach einer Antwort.“ Sein Lieblingszauberer, „der alte Zauberer Dalben sagte: Oft ist die Suche nach einer Antwort wichtiger als die Antwort selbst.“ Matze sagt nur: „Unglaublich“. Precht spricht weiter über den Weg, den die menschliche Wissenschaft gehen muss, der jetzt aber verbaut ist, das Nachdenken über Glück und Moral. „Und deswegen ist es ja so interessant – ich schreibe ja eine dreitausendseitige Philosophiegeschichte und bin bald fertig damit – diese Wege zu sehen und das Eintauchen in die Wege und das Denken, das ist der wahre Bildungsprozess und nicht das Stakkato irgendwann mal, wie auch immer gegebenerAntworten. Philosophie ist ja nicht Wissenschaft, wo eine Antwort falsifiziert wird und durch eine bessere ersetzt…“ Matze hält all die negativen Äußerungen des Philosophen nicht mehr aus. Er muss sich Luft verschaffen:
„Aber es gibt ja immer noch, also ich meine, es gibt McDonald’s und Burger King, also Fast Food, schnelles, also wo es nicht um den Prozess geht und es gibt trotzdem noch ganz, ganz viele andere großartige Restaurants, gerade auch im Sternegastronomiebereich wird ja auch…“ „Schönes Bild“, unterbricht ihn Precht sofort. Nein, das mache ihn nicht optimistisch, weil KI auch das bald könne. „Also die KI könnte meine Bücher noch nicht schreiben, aber wenn wir uns das nächste Mal treffen, vielleicht schon.“ Da ist sie, seine Angst, dass kein Verlag seine dreitausend Seiten mehr drucken wird, die KI wird schneller sein. Es würde mich nicht wundern, ihn aufspringen zu sehen, denn er muss sich beeilen, muss fertig werden mit seinem Werk, vor dem Ende der Kultur.
Und jetzt erwische ich mich bei einem ketzerischen Gedanken: Sicherlich benutzt auch Richard David Precht die KI für Recherchen. Er weiß, das spart den Weg in Bibliotheken oder die Zeit, in einem Browser nach wichtigen Informationen für sein Buch zu suchen. Auch er kann nicht dreitausend Seiten philosophisch aus sich schöpfen und die Gedanken seiner zum Teil schon vor Jahrhunderten gestorbenen Kollegen im Gedächtnis haben. Aha, auch er ist KI-Nutzer!
Ich mache schon lange kein Geheimnis daraus, großen Sprachmodellen auch Positives abzugewinnen. Also befehle ich der Künstlichen Intelligenz: „Das Ende der Geschichte, das Ende der Kultur, das Ende der Menschheit, das Ende der Welt, das Ende von allem Wichtigem. Mach eine Recherche dazu: Wer hat wann schon das Ende von… ausgerufen? Sei gründlich, gib mir Quellen!“
ChatGPT benötigt drei Minuten und zehn Sekunden für die Recherche, dann noch einmal so lange, um alles auf meinen Bildschirm zu schreiben. Quellen mitzuliefern, hat es „vergessen“. Ich muss das Fehlen der Angaben anmahnen. Wieder vergehen fast drei Minuten und dann habe ich Material zum Lesen für viele Wochen. Daraus könnte selbst ich ein sehr dickes, auch philosophisches Buch schreiben, mit Hilfe der KI. Ja, welch ein Kulturverlust, wenn ein Maschinenbauingenieur das Buch schreiben würde: „Das Ende von allem“ mit dem Untertitel: „Warum ständig jemand das Ende der Geschichte, der Kultur, der Menschheit und der Welt verkündet – und was wirklich dahintersteckt.“
Folgenden Teaser hat die KI mir schon geschrieben:
Das Ende ist zum Geschäftsmodell geworden. Ob „Ende der Geschichte“, „Untergang des Abendlandes“, „kollektiver Selbstmord der Menschheit“ oder „KI zerstört unsere Kultur“ – seit zweitausend Jahren ruft immer jemand: Jetzt ist wirklich Schluss. Dieses Buch schaut sich die großen Untergangserzählungen an, von der biblischen Apokalypse über Spenglers Kulturpessimismus bis zu Fukuyamas Siegestaumel nach dem Kalten Krieg und den heutigen Warnungen vor Klima-, Atom- oder KI-Kollaps.
Warum brauchen wir diese Drohungen? Wer profitiert davon, wenn wir glauben, dass alles vorbei ist? Und was sagt es über uns aus, dass wir einerseits müde davon sind – und trotzdem immer wieder zuhören?
„Das Ende von allem“ ist kein Weltuntergangsbuch. Es ist ein Buch über Macht, Angst und Verführung. Es zeigt, wie Politiker, Philosophen, Propheten, Intellektuelle und Tech-Gurus unsere Zukunft deuten – mal als Heilsversprechen, mal als Drohkulisse. Und es fragt ganz direkt: Stehen wir diesmal wirklich vor dem Abgrund? Oder ist der Untergang nur die älteste Geschichte der Welt?
Jetzt habe ich endlich eine Aufgabe. Ich werde die KI bitten, erst einmal ein Exposé zu erstellen, und ich frage mich sogleich: Warum? Einen Verlag werde ich doch nicht finden. Das wäre dann tatsächlich das Ende der Kultur.
- Podcast Hotel Matze, Gastgeber: Matze Hielscher, Folge mit Richard David Precht über politische Stimmung in Deutschland, Angst als Leitgefühl, Erosion des Aufstiegsversprechens, Europas Lage und den kulturellen Wandel durch KI; Laufzeit ca. 2 h 38 min, veröffentlicht am 22. Oktober 2025 (Apple Podcasts / Podigee / YouTube-Ausschnitte). In diesem Gespräch formuliert Precht die These, die eigentliche Gefahr der Künstlichen Intelligenz bestehe darin, dass sie menschliche Sinnproduktion ersetze und damit „das Ende der Kultur“ einläute. ↩︎
