Israels Sicherheit

Freunden Israels macht es die gegenwärtige israelische Regierung immer schwerer, deren Politik gegen Kritik in zu verteidigen, auch wenn sie in unendlicher Wiederholung sagen: Ohne den Terror der Hamas wäre kein Palästinenser in Gaza getötet, kein Krankenhaus wäre angegriffen worden, niemand würde dort hungern müssen.
Es ist aber kaum noch möglich, das Elend in Gaza mit legitimer Selbstverteidigung eines Staates zu rechtfertigen.
So wundert es mich nicht, wenn Charlotte Knobloch sich heute im “Spiegel” an die große Unterstützung unmittelbar nach dem Massaker, das Terroristen der Hamas und anderer Gruppen in Israel verübt hatten, erinnert. Sie sagte: “Wir konnten Leitz-Ordner füllen mit den Sympathiebekundungen”. Inzwischen sei die Stimmung aber umgeschlagen. “Alles, was Israel tut, wird sofort höchst negativ bewertet. Das spüren auch wir.” Sie hätte ausdrücken müssen, alles, was die gegenwärtige Regierung sagt…

Diejenigen, die ihr Solidaritätsadressen schickten sind heute sicher keine Antisemiten geworden, sondern viele von ihnen haben Probleme mit der gegenwärtigen Regierung und deren Politik und sehen mit Sorge die zunehmende Zerstörung des Landes durch innere rechtsradikale Kräfte in der Regierung.

In der Zeitung Haarez erschien am 11. Mai 2024 ein Beitrag von Ehud Olmert, der sich mit Szenarien eines möglichen Endes des aktuellen Krieges beschäftigt.

Ehud Olmert ist israelischer Politiker, der von 2006 bis 2009 als Premierminister Israels tätig war. Er begann seine politische Karriere als Mitglied der Knesset für die Likud-Partei und später für Kadima, eine zentristische Partei, die er mitgegründet hat. Vor seiner Zeit als Premierminister war er Bürgermeister von Jerusalem von 1993 bis 2003.

In seine Amtszeit als Premierminister fallen mehrere bedeutende Ereignisse, darunter den Libanonkrieg 2006 gegen die Hisbollah im Südlibanon und kontinuierliche Bemühungen um Friedensverhandlungen mit den Palästinensern. Seine Amtszeit wurde jedoch von Korruptionsvorwürfen überschattet, die schließlich zu seinem Rücktritt führten. Nach seinem Ausscheiden aus der Politik wurde er wegen Bestechlichkeit und anderer Delikte angeklagt und verurteilt, was zu einer Gefängnisstrafe führte, aus der er jedoch auf Bewährung entlassen wurde.

Ehud Olmert schreibt (ich fasse es zusammen):

Die aktuelle Situation im Gazastreifen ruft zunehmend Stimmen hervor, die sofortige Beendigung des Krieges fordern. Der praktische Nutzen eines solchen Schrittes besteht darin, eine Vereinbarung zu erreichen, die die Rückkehr aller Geiseln, lebend oder tot, umfasst. Zugleich müsste Israel sich verbindlich dazu verpflichten, sich vollständig aus dem Gazastreifen zurückzuziehen und zu den Grenzen zurückzukehren, von denen aus es vor über sechs Monaten seine Bodenoperationen begonnen hat.
Er meint, der Krieg sei eigentlich längst vorbei, da nur noch zwei Kampfbrigaden in Gaza befänden verglichen mit den 28 Brigaden, der Luftunterstützung durch Drohnen, Hubschrauber und Kampfflugzeuge auf dem Höhepunkt des Einsatzes.

Es gäbe keinen Grund so zu tun, als ob der Krieg noch andauere. Nun müssten Vorbereitungen für den vollständigen Abzug aus dem Gazastreifen getroffen werden. Die Kontrolle sollte an eine multinationale Streitmacht übergeben werden sollte, vorzugsweise bestehend aus Soldaten aus arabischen Armeen, einschließlich Palästinensern, die der Palästinensischen Autonomiebehörde treu sind. Diese Streitmacht könnte Soldaten aus Ägypten, Jordanien, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Bahrain und hoffentlich auch Saudi-Arabien umfassen.

Die Bildung und Einsatzbereitschaft einer solchen Streitmacht hängt weitgehend von Israels Erklärung ab, schreibt er, dass es bereit ist, den gesamten Streifen schrittweise und in Abstimmung mit dieser Streitmacht zu verlassen, begleitet von einer Bereitschaftserklärung, Verhandlungen über ein Friedensabkommen mit den Palästinensern zu beginnen. Diese würden durch eine gestärkte Palästinensische Autonomiebehörde vertreten, die mit entschlossenen und kooperationsbereiten Führern ausgestattet sein muss. Er stellt die Frage, ob Mahmoud Abbas nach 18 Jahren weiterhin die palästinensische Autonomiebehörde führen wird. Die Entscheidung darüber läge aber ausschließlich bei den Palästinensern, die über genügend qualifizierte Kandidaten verfügten, um ein effizientes und gut funktionierendes System aufzubauen.

Unabdingbare Voraussetzung einer Vereinbarung ist aber zur Rückkehr aller Geiseln. Olmert mein, dass jeder, der glaubt, die Geiseln ohne ein klares und vollständiges Ende des Krieges zurückbringen zu können, sich selbst und die israelische Öffentlichkeit täuscht, auch die Familien der Geiseln und die internationalen Akteure, die sich um eine Lösung bemühen.

Er ist überzeugt, dass Premierminister Benjamin Netanjahu bewusst und absichtlich jede Chance auf eine solche Vereinbarung zunichtemacht. Obwohl oft gesagt wird, dass Netanjahu sicherlich die Geiseln zurückbringen möchte und Bedingungen stellt, die für viele Israelis vernünftig erscheinen, ist klar, dass diese Bedingungen für die Hamas inakzeptabel sind. Viele, die die Hamas keinesfalls unterstützen, meinen, dass ohne ein Ende des Krieges eine Vereinbarung zur Rückführung der Geiseln nicht erreicht werden kann. Doch diese Ansicht steht im Widerspruch zu Netanjahus persönlichen Interessen.

Sollte die UN-Generalversammlung, was Gott verhüten möge, so Olmert, die Existenz eines palästinensischen Staates anerkennen, ist klar, dass es Staat außerhalb der Grenzen Israels von Mai 1967 sein würde. Von diesem Zeitpunkt an würden die Palästinenser sich strikt weigern, noch mit Israel zu verhandeln. Sie würden sich auf Forderungen an die UN beschränkten, Israel zu zwingen, diese Entscheidung umzusetzen. Dieses Szenario sei nicht abwegig, denn das Thema steht auf der Agenda einer bedeutenden Anzahl von Ländern, die in naher Zukunft Schritte unternehmen werden, um es auf die Agenda des UN-Sicherheitsrats zu setzen. Die gegenwärtige israelische Regierung fordert die internationale Gemeinschaft mit ihrer Politik heraus und provoziert enge Freunde wie die USA und europäische Staaten. Das könnte dazu führen, dass diese Länder einen solchen Vorschlag unterstützen oder sich zumindest der Stimme enthalten, wenn darüber abgestimmt wird.

Olmert sagt, er werde oft gefragt, wie hoch die Chancen sind, dass Israel intern zu der Erkenntnis kommt, dass ein solcher Schritt den Rückzug aus dem Großteil der seit 1967 von Israel eroberten Gebiete beinhalten würde und “Ist das überhaupt möglich? Ist die Evakuierung von 100.000 Israelis praktisch durchführbar?” (Wobei viele wahrscheinlich in Gebieten verbleiben werden, die im Rahmen von Landtausch zu Israel gehören). Für eine solche diplomatische Lösung brauche Israel den Besitz von 4,4 Prozent des Westjordanlands unbedingt. So könnte ein großer Teil der Siedler dort bleiben. Praktisch leben die meisten der Siedler im Westjordanland in Teilen Jerusalems, die über die Grenze von 1967 hinausgehen.
Die Gebiete, die Israel angeschlossen würden, umfassen einen großen Teil der Menschen, die als Bewohner der Gebiete gelten. Daher ist es möglich und praktikabel, die übrigen Siedler aus den zu räumenden Gebieten in die behaltenen und angeschlossenen Gebiete zu überführen.

Ob das gehen würde, hängt jedoch weitgehend von einer Mehrheit ab, die eine solche Regierung unterstützen würde, die bereit wäre, ein Friedensabkommen zu erreichen, sowie von der Einhaltung der Vereinbarungen durch die zur Umsiedlung vorgesehenen Personen, und das wird wohl eher nicht passieren, denn ein beträchtlicher Teil der israelischen Öffentlichkeit wird einer Entscheidung, sich aus dem Westjordanland zurückzuziehen, wahrscheinlich heftig widersetzen. Gewaltsamer Widerstand, der zu Zusammenstößen und Blutvergießen führen könnte, sei nicht ausgeschlossen. Die von Itamar Ben-Gvir, dem Minister für nationale Sicherheit, an nahezu jeden Interessierten verteilten hunderttausenden Waffen könnten in einem gewaltsamen Bürgerkrieg durch extremistische, messianische Juden verwendet werden, die die Legitimität einer Regierungsentscheidung zum Rückzug nicht anerkennen.

Eine wachsende Gefahr innerhalb des Militärs ist nicht auszuschließen. Einige militärische Einheiten, insbesondere jene, die aus vielen Siedlern bestehen, könnten sich verpflichtet fühlen, Befehle zur Umsetzung eines solchen Rückzugs zu verweigern und auch einige Kommandeure selbst könnten der Meinung sein, Evakuierungsbefehle seien illegitim und ein Verrat an den Werten des jüdischen Volkes und der Heiligkeit des Landes.

Die Politik der Aufwiegelung, die verschiedene Gruppen gegeneinander ausspielt, Spaltung sät und die israelische Gesellschaft zerreißt – eine Politik, die von Netanyahu jahrelang als Mittel zur Festigung seiner Macht genutzt wurde – hat die Möglichkeit eines gewaltsamen Konflikts geschaffen, der die Gesellschaft zersplittern und das demokratische Regime stürzen könnte, was zum Untergang des Staates führen würde, wie er seit 76 Jahren existiert hat.

Ehud Olmert schließt:
Als jemand, der eine Zeit lang die oberste Verantwortung für die Sicherheit dieses Landes und für die Aufrechterhaltung seiner Stabilität und seines demokratischen Charakters trug, glaube ich, dass es unmöglich ist, diesen Prozess, der eine konkrete Bedrohung für Israel darstellt, zu beobachten und seine Ausbreitung zuzulassen, ohne etwas dagegen zu unternehmen.

Wir kämpfen an der militärischen Front mit einer beeindruckenden Zusammenarbeit zwischen Reservisten und Wehrpflichtigen aus allen Gesellschaftsschichten: Aschkenasische und mizrachische Juden, religiöse und säkulare Juden, Siedler, Drusen, Tscherkessen und Beduinen.


Aber außerhalb des Schlachtfelds dürfen wir kein falsches Bild einer Einheit mit denjenigen erwecken, die jetzt versuchen, unsere demokratische Lebensweise umzustürzen, Menschen, die morgen vielleicht an vorderster Front kämpfen, mit Waffen, die ihnen die derzeitige Regierung in einer rücksichtslosen und unverantwortlichen Aktion in die Hand gegeben hat, und die jeden bekämpfen, der nicht bereit ist, in einem Staat zu leben, der ein anderes Volk mit einer anderen Religion besetzt und verfolgt, in Gebieten, die nicht zu Israel gehören sollen.

Es muss alles getan werden, um die Demonstranten zu mobilisieren und auf die Straße zu bringen, um alles zu tun, um nicht nur den Anführer dieses fundamentalistischen, radikalen Lagers aus unserem Leben zu entfernen, sondern auch diejenigen, die sogar jetzt Gewalt anwenden, um die Familien der Geiseln und die Regierungsgegner aufzuhalten.