Ich verteidige den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, wo immer ich kann. Aber es gibt Abende, an denen man sich fragt, ob der Wetterbericht allein nicht die angenehmere Form von Weltdeutung wäre.
Der gestrige maischberger-Abend war so einer1.
Nicht, weil die Sendung schlecht war – sie war auf ihre Art faszinierend, wie ein Pendel, das unablässig hin und her schwingt: Der Blick bleibt kleben, die Geduld nicht. Und irgendwann stellt man sich die Frage: Warum ausgerechnet diese Gäste? Der Kabarettist Michael Mittermeier – gut, der darf zum Zweck der Lockerung rein. Aber warum Sebastian Kurz?
Der ehemalige österreichische Bundeskanzler, politisch gescheitert über Korruptionsvorwürfe, sitzt im deutschen Fernsehen und erklärt uns die Welt. Haben wir nicht kollektiv aufgeatmet, als dieses süffisante Grinsen von der Bildfläche verschwand? What a relief! Und nun kehrt es zurück, glatt wie je, ausgeleuchtet von ARD-Scheinwerfern.
Sandra Maischberger hatte sich ein hübsch kontrastreiches Duo ausgedacht: Jean Asselborn, Luxemburgs dienstältester Außenminister, gegen den aalglatten Ex-Kanzler. Alt gegen jung, Sozialdemokrat gegen Konservativen, Erfahrung gegen Selbstgewissheit – dramaturgisch perfekt.
Aber die Frage bleibt: Warum Kurz? Was qualifiziert einen Politiker, dessen Regierungszeit mit Chats, Posten und Parteispenden endete, zum Experten für Nahost und die Ukraine?
Mit 38 Jahren hat Kurz viel gesehen, gewiss. Aber ist viel sehen schon viel verstehen?
Heute, so erfuhren wir, ist er Unternehmer, pendelt zwischen Tel Aviv und Abu Dhabi, berät, gründet, investiert. Ein Mann der Wirtschaft, ein Brückenbauer zwischen den Welten – und, wie beiläufig erwähnt, ein ehemaliger Mitarbeiter von Peter Thiel, jenem Tech-Milliardär und Trump-Unterstützer, der gerade über den „Antichristen“ philosophiert, weil er in jeder globalen Regulierung den Untergang des Fortschritts wittert.
Was Kurz bei Thiel offenbar gelernt hat: die Kunst, moralische Bedenken als Fortschrittsfeindlichkeit zu verunglimpfen.
Datenschutz? Kartellrecht? Klimaschutz? Alles nur Zeichen einer antichristlichen Weltordnung, die im Namen von Sicherheit und Risikoabwägung den göttlichen Motor des Wachstums blockiert. Der Antichrist, das ist in dieser Erzählung nicht die dämonische Figur aus der Offenbarung, sondern ein Brüsseler Beamter mit Kaffeefleck auf der Akte.
Kurz lächelt dabei das Lächeln eines Mannes, der die Offenbarung gelesen und die Bilanz gezogen hat.
Europa, sagt er, leide unter moralischer Überheblichkeit; Amerika dagegen mache, was funktioniert.
„Wir sollten mehr Respekt vor unterschiedlichen Meinungen haben“, sein Mantra – gesprochen von jemandem, der einst mit der FPÖ koalierte und Pressefreiheit gern als Zumutung betrachtete.
Dann das Gespräch über den Nahost-Konflikt: Sebastian Kurz, nunmehr Nahost-Pendler, erklärte, die EU habe sich mit ihrer Zwei-Staaten-Rhetorik lächerlich gemacht. Die Amerikaner, also Trump und sein Team, hätten professionell gearbeitet; die Europäer dagegen nur PR betrieben. Europa – überheblich, irrelevant, ahnungslos. Er selbst – der Kenner, weil er dort Geschäfte macht. Das ist die neue Variante der alten Versuchung: Wer Profit wittert, hält sich für einen Realisten. Völkerrecht und Menschenrechte? Schön, aber bitte nicht im Weg stehen. Und der öffentlich-rechtliche Rundfunk gibt dieser Haltung eine Bühne, als wäre sie die bislang fehlende Perspektive.
Als Asselborn anmerkt, Trump habe mit seiner „Stop killing“-Ansage zwar Druck auf Netanyahu ausgeübt, aber zugleich Justiz und Demokratie anderer Länder bedroht, nickt Kurz freundlich – und erklärt das alles für Missverständnisse. Sebastian liebt den Donald, zumindest als Wirtschaftsprinzip.
Europa, sagt er, sei zu moralisierend; man müsse die Dinge pragmatischer sehen. Der transatlantische Graben? Nur ein Kommunikationsproblem. Nicht Trump ist das Problem – wir Europäer sind es.
Beim Thema Ukraine holt er erneut das Vokabular des Marktes hervor. Frieden mit Russland? Nur langfristig möglich, klar. Aber Gas von dort kaufen – warum nicht? Wirtschaftlich sinnvoll und nicht verboten.
Seine Strategie im Umgang mit Putin: freundlich beginnen, wie Trump in Alaska, bei Misserfolg den Ölpreis drücken. Völkerrecht, Demokratie, Opfer? Kaum ein Wort. Nur Realismus, so nennt er’s, wenn er Deals meint.
Asselborn widerspricht, spricht von einem Krieg gegen das internationale Recht, von der Verteidigung der Demokratie. Kurz nickt, höflich, ungerührt. Das ist nicht seine Welt. Er rechnet anders – mit Erträgen.
Da war es wieder, dieses Grinsen, das ihn berühmt und unausstehlich zugleich machte. Es tauchte auf, wenn Asselborn leidenschaftlich wurde – das Gesicht eines Mannes, der innerlich murmelt: „Du bist naiv, alter Freund. So funktioniert die Welt nicht.“ Ein Lächeln, das behauptet, den Code des Realismus geknackt zu haben, und dabei jede Empathie abmeldet.
Wer also braucht Sebastian Kurz’ Meinung im öffentlich-rechtlichen Rundfunk? Niemand.
Seine Position ist hinreichend vertreten – in jedem Thinktank, auf jedem Wirtschaftsgipfel, in jeder „Business Class“. Was fehlt, ist nicht die Stimme der Marktlogik, sondern jene, die über sie hinausblickt.
Warum also lädt eine kluge Moderatorin ihn ein? Weil Fernsehen Dramaturgie liebt. Alt gegen jung, Moral gegen Markt, das zieht. Vielleicht wäre es journalistisch klüger gewesen, zwei erfahrene Außenpolitiker über Europas Rolle sprechen zu lassen – statt einen Geschäftsmann, der Europa erklärt, warum es alles falsch macht und Trump alles richtig.
Die Sendung endete. Asselborn wollte unbedingt von alten Tagen mit Putin und Lawrow erzählen, als es noch um Verständigung zwischen West und Ost ging – aber die Zeit war um. Die Tagesschau wartete schon. Sebastian Kurz lächelte sein süffisantes Lächeln. Er hatte bekommen, wofür er gekommen war: eine Bühne im öffentlich-rechtlichen Fernsehen der Piefkes. Asselborn hätte sie nicht unbedingt gebraucht und Sandra Maischberger? Sie hatte Feierabend.
Ich als verwunderter Fernsehkonsument bekam nach der Tagesschau noch die Wettervorhersage für die kommende Nacht und den Tag darauf:
In Oberschwaben und im Allgäu kühlt es bis auf 1 Grad ab, in der Nacht verbreitet bewölkt, gebietsweise Nieselregen, besonders in der Nordhälfte. Im Süden bildet sich teilweise dichter Nebel.Tagsüber wird es oft trüb oder wolkenverhangen sein, Sonnenschein im Süden, vor allem in den Hochlagen. Später auch Chancen auf Sonnenschein an den Küsten. Temperaturen erreichen 9 Grad im Erzgebirge, sonst 12 bis 17 Grad.
Beim Wetter bleibt es immer spannend – auch im ÖRR.
- maischberger vom 15.10. 2025 ↩︎
