Die Gouvernante

Bildhinweis: Collage aus mit DALL-E generierten Bildmotiven; Zusammenstellung, Bearbeitung und finale Farbkorrektur durch den Autor in KRITA.

Vor der blauen Ministeriums-Tapete steht eine Frau am Doppelmikrofon. Der Blick wach und streng, makellos weiß die Jacke, die mit der russischen Uniformgrammatik die Sprache der Macht spricht: der Stehkragen, die glatte Front mit verdeckter Knopfleiste, die goldenen Militärknöpfe und angedeuteten Brusttaschen. So trug man sie schon immer, die gymnastiorka, längst vor der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution. Auch die Kadetten im Winterpalais hätten sie 1917 mit Stolz auf das Vaterland getragen haben können, als der bolschewistische Sturm begann.

Unweigerlich blitzen in meinem Kopf beim Anblick des in Autorität gegossenen Stoffes Bilder von Joseph Wissarionowitsch auf, des Generalissimus und Bezwingers aller Feinde des Volkes.
Über dem Stehkragen sieht mich dann auf dem Briefingvideo aber nur Maria Wladimirowna an1, manchmal sachlich vortragend, ein anderes Mal mit dem Ausdruck, wie die Gans, wenn’s blitzt, sagt Brigitte zu mir, hätte ihr Griechischlehrer Dr. Schwarze diesen Ausdruck genannt.

Was sie vorzutragen hat, ist die Zurechtweisung eines missratenen Zöglings. Jetzt sehe ich eher eine Gouvernante vor mir, in dunklem, hochgeschlossenem Kleid mit strengem Stehkragen und langen Ärmeln, die Knopfleiste bis zum Hals geschlossen. Das Haar glatt zurückgekämmt und zu einem festen Knoten gesteckt, in aufrechter Haltung, der Blick ernst und kontrollierend. Aufrecht stehend, als wäre ihr Rückgrat ein Zeigestock. Nein, es gehört sich nicht, den größten Führer Russlands einen Oger zu nennen. „Wir sehen ständig irgendwelche seltsame Äußerungen des französischen Präsidenten über Russland… Manchmal überschreiten sie die Grenze des Anständigen und werden zu niederträchtigen Beleidigungen gegen Russland und sein Volk!“ Nein, das Wort des Franzosen mag sie gar nicht wiederholen!

Während Frau Sacharowa die Anständigkeit im Umgang miteinander beschwört, reden Kollegen und führende Politiker ihres Landes eine ganz andere Sprache. Medwedjew, früher Präsident und Premier, heute Telegram-Publizist, liebt es, den Gopnik zu geben. „Они ублюдки и выродки,“ – „das sind Bastarde und Degenerierte“ –, schrieb er im Juni 2022 über westliche Politiker2. Wenige Monate später beschreibt er seine Gegner als eine „кучка безумных нацистов-наркоманов“, also „ein Häuflein wahnsinniger Nazi-Drogenabhängiger“, eine „стая лающих собак из западной псарни“, ein „Rudel kläffender Hunde aus dem westlichen Zwinger“3, und obendrein eine „разномастная свора хрюкающих подсвинков“, eine „Meute grunzender Ferkel“. Europäische Politiker sind für ihn „европейские имбецилы“ (europäische Imbezile)4 – dazu allerhand weitere zoologische Beschimpfungen, später sogar als Zitattafel vor Schülern präsentiert5.

Im Fernsehen wiederum übt Wladimir Solowjow mit seinen Zuschauern die Sprache des einfachen, des „wahren“ Menschen. Der Talkmaster und Star-Propagandist scheut nicht vor Gossenjargon zurück, wenn es um die Ukraine oder den Westen geht. Mal spricht er von „нацистские сволочи“ („nazistisches Pack“), mal von „недочеловеки“ („Untermenschen“), „Заткнитесь, твари!“(Haltet die Klappe, ihr Mistviecher!) und immer wieder reichert er seine Abende mit Tiervergleichen an, die aus der politischen Debatte eine Mischung aus Zirkusarena und Kneipe machen.6.

Und auch der Präsident selbst, sonst auf der Weltbühne um Würde bemüht, erinnert sich, wenn nötig, an die Sprache seiner Leningrader Baskow-Gasse in den 60er Jahren. In einer Rede vom 25. Februar 2022 nannte er die ukrainische Führung eine „шайка наркоманов и неонацистов“ – „eine Bande aus Drogenabhängigen und Neonazis“7. Wenige Wochen später bezeichnete er seine Gegner im Inneren als „подонки и предатели“, Abschaum und Verräter, die das Volk durch „самоочищение общества“, die Selbstreinigung der Gesellschaft, sich vom Hals schaffen werde8.
Nach einer Serie von Bombenanschlägen auf Wohnhäuser Ende der neunziger Jahre – bis heute umstritten, wer sie wirklich verantwortete – erklärte Putin vor der Weltpresse in Astana: „Мы будем преследовать террористов везде. В аэропорту — в аэропорту. Значит, вы уж меня извините, в туалете поймаем — мы и в сортире их замочим, в конце концов. Всё, вопрос закрыт окончательно.“ – „Wir werden die Terroristen überall verfolgen. Am Flughafen – am Flughafen. Verzeihen Sie, wenn wir sie auf der Toilette erwischen – dann machen wir sie im Scheißhaus fertig, schließlich. Damit ist die Sache endgültig erledigt.“9

Das ist die Sprache des Kreml, daran werden das viele Blattgold im Großen Kremlpalast und auch Frau Sacharowas Erziehungsversuche nichts ändern.

  1. Briefing von M. W. Sacharowa, 29.08.2025 ↩︎
  2. https://www.bbc.com/russian/news-61716641 ↩︎
  3. https://www.rbc.ru/politics/04/11/2022/6364b7199a794775eec9eddc ↩︎
  4. https://www.vedomosti.ru/politics/news/2022/06/06/925254-medvedev-prokommentiroval-shestoi-paket-sanktsii-es ↩︎
  5. https://meduza.io/feature/2025/04/29/dmitriy-medvedev-prochital-shkolnikam-lektsiyu-ob-otnosheniyah-rossii-s-evropoy-i-ssha ↩︎
  6. https://www.livekuban.ru/news/obshchestvo/zatknites-tvari-v-seti-obsuzhdayut-skandalnye-vyskazyvaniya-vladimira-soloveva ↩︎
  7. https://tass.ru/politika/13864227″ target=“_blank“ rel=“noopener noreferrer ↩︎
  8. https://www.rbc.ru/politics/16/03/2022/6231ed089a79477338478812 ↩︎
  9. https://ru.wikipedia.org/wiki/%D0%9C%D0%BE%D1%87%D0%B8%D1%82%D1%8C_%D0%B2_%D1%81%D0%BE%D1%80%D1%82%D0%B8%D1%80%D0%B5 ↩︎