Im Kölner Stadtanzeiger waren im Frühjahr des vergangenen Jahres zehn Ratschläge des bekannten syrischen Autors Rafik Schami an seine 2015 nach Deutschland geflohenen Landsleute zu lesen.
Ich fürchte, nur wenige der eigentlichen Adressaten nahmen sie bisher zur Kenntnis, obwohl sie auch auf Arabisch veröffentlicht worden sind. Im ersten Jahr hatten die meisten von ihnen sicherlich auch andere Sorgen und Aufgaben: sich in neuer Umgebung und abhängiger Situation zurecht zu finden, zu lernen, sich in der neuen Sprache verständlich zu machen, das tägliche Leben zu meistern. Nun sind sie zwei Jahre im Land und es wäre gut, wenn sie sich mit diesen Ratschlägen vertraut machen würden, denn
1. Die Zeit ist hier in Deutschland reif für sie, um in Freiheit nachzudenken, selbstkritisch und ohne Angst und Tabu, was sie zu dieser Misere geführt hat. Ich gebe ein paar Stichpunkte: die Sippe, das Erdöl, die Diktatur, die Vermischung von Religion und Politik.
In Gesprächen mit gesprächsbereiten geflüchteten Syrern höre ich immer, bis zum Jahr 2011 hätten alle Menschen in Syrien friedlich zusammengelebt, Sunniten mit Christen und Alawiten, Kirchen aller Glaubensrichtungen hätten in Syrien neben einander gestanden. Erst der Bürgerkrieg habe alles verändert und niemand kann sich das erklären.
Wenn ich aber im vergangenen Jahr mit einzelnen sprach, fielen Sätze wie: “Ich habe keine schlechte Meinung von anderen Menschen, aber die Schiiten sind keine Moslems, sie sind Ungläubig und lügen”, “Alawiten sind die Diener von Bashar (al Assad)”, oder “Jeder kennt bei uns das Buch “Protokolle der Weisen von Zion“ , da steht die Wahrheit über Juden, wie sie wirklich sind und was sie wollen”, “die Frau ist nicht gut, so wie sie sich anzieht”. Vorurteile, Abwertung anderer, Ablehnung kultureller Haltungen, Hass auf andere nicht erst seit 2011, denke ich. Sich darüber ein selbstkritisches, tabufreies Bild zu machen, wäre gut.
2. Die Flüchtlinge sollten zur Kenntnis nehmen, dass sie im christlichen Abendland aufgenommen worden sind. Und sie werden dieses weder kurz- noch langfristig verändern. Wollen aber sie sich verändern und damit am zivilisatorischen Prozess teilnehmen, dann müssen sie die Sprache dieses Landes ernsthaft lernen.
Nun, ich habe mit dem Begriff “Christliches Abendland” meine Schwierigkeiten. Das klingt, als wären wir im (West-) Europa von heute mehrheitlich gläubige Christen, wie die zu uns Geflohenen aus dem Nahen Osten größtenteils Muslime sind. Fast niemand teilt hier noch die antike oder mittelalterliche Vorstellung von Europa als dem westlichsten, der untergehenden Abendsonne am nächsten gelegenen christlichen Erdteil, es sei denn man gehört zur AfD oder einer anderen nationalistischen Gruppierung, die plötzlich Abendland und Christentum wieder entdeckt haben und Anpassung an die deutsche Leitkultur fordern.
Bei allem Unbehagen an diesen Termini bemerke ich jedoch immer deutlicher die kulturellen Unterschiede zwischen mir (sowie den meisten meiner Bekannten und Freunde) und den muslimisch Erzogenen. Das Befolgen von Regeln steht bei ihnen deutlich über der individuellen Entscheidung. Sie verstehen nicht, wie Kindererziehung ohne körperliche Bestrafung bei Regelverletzung gehen soll. Die Vorstellung der Gleichheit von Mann und Frau ist fast allen fremd. Dass HIV-Infizierte nicht weggeschlossen werden, halten die meisten für ein massives Staatsversagen. Die Beispiele lassen sich fortsetzen.
In solchen Haltungen sehe ich keine kulturelle Bereicherung, sondern hoffe vielmehr auf Anpassung an … ich sag nicht Leitkultur, aber meine doch irgendetwas ähnliches.
Ich lese bei Ulrich Greiner in der ZEIT (35, 2017, “ Das Eigene und das Fremde – Warum sich der multikulturalistische Traum vom Weltbürger, der überall zuhause ist, so schwer erfüllen lässt”) zur Entwicklung der Idee vom Recht des Individuums in westlichen Ländern:
“Der englische Ideenhistoriker Larry Siedentop hat es »die Erfindung des Individuums« genannt. Sie entstand aus der christlichen Überzeugung, dass alle Menschen von Gott geschaffen seien und daher die gleichen Rechte hätten. Das waren moralische, »natürliche« Rechte, im Unterschied zu jenen, die sich aus Herkommen und Stand ergaben. Siedentop schildert, wie die Entwicklung des Kirchenrechts, das seinerseits eine Umformung des römischen Rechts war, den Gleichheitsgedanken begründete, auch wenn er zunächst noch nicht »demokratisch« war, denn als oberster Richter in moralischen Dingen verstand sich der Papst in seiner Rolle als Stellvertreter Christi. Zu den Konsequenzen
dieser Entwicklung zählte der Liberalismus, der die Freiheit des Individuums in den Mittelpunkt stellte, die Trennung von privatem Glauben und öffentlicher
Angelegenheit auf die Tagesordnung setzte und damit die Trennung von Staat und Kirche. Der Säkularismus war die unbeabsichtigte Konsequenz, die aus der
Idee der moralischen Gleichheit aller Menschen folgte. Sie bildet bis heute den unterschied zwischen Orient und Okzident.”
Ohne die Sprache zu beherrschen, haben Geflohene keine wirkliche Chance eines selbstbestimmtes Lebens in Deutschland. Das haben die meisten verstanden. Schwer fällt aber zu akzeptieren, dass eingelernte Verhaltensweisen und Kleiderordnungen sie hindern werden, bestimmte Berufe auszuüben, auch bei Berufung auf die Religionsfreiheit hierzulande. Beispielsweise ist Kurzarmkleidung in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen Vorschrift für Pflegekräfte, und eine Sprechstundenhilfe mit muslimischem Kopftuch wird im ländlichen Mecklenburg eher die Ausnahme bleiben.
3. In diesem Land sind Frauen und Männer gleichberechtigt.
Mein muslimischer Freund A.:
Im ersten Jahr seines Hierseins hatte ich von ihm den Eindruck eines aufgeschlossenen modernen jungen Mannes. Er erklärte, er würde Menschen jeden Glaubens akzeptieren (nur keine Schiiten), seine Religion sei tolerant und würde sich den Veränderungen der Welt anpassen. Er begegnet meiner Frau mit großem Respekt. Wenn er mit uns bei uns zu Hause Kaffee trank, wusch er das Geschirr ab und räumte es fort.
Vor ein paar Tagen war ich bei ihm zu Hause. Seine Frau brachte auf einen Hinweis von ihm den Kaffee, fragte ihn, ob er Zucker wolle. Er bejahte und sie tat den Zucker in seinen Kaffee. Anschließend bedeutete er ihr, sie möge auch noch umrühren. Auf meine erstaunte Nachfrage meinte er, dass es die Aufgabe der Frau ist, im Hause für den Mann da zu sein. Er muss nicht nur Deutsch lernen, sondern auch den Inhalt und die Bedeutung des Artikels 3, Grundgesetz.
4. Die reichen arabischen Länder haben sie im Stich gelassen. Diese Länder spielen sich auf als Hüter des Islams und handeln gegen den Koran und seinen Propheten.
"Warum lasst ihr sie nicht herein, ihr unfreundlichen Menschen?"
Die Saudis haben zwar eine halbe Million Syrer ins Land gelassen aber ohne jede staatliche Unterstützung. Die Flüchtlinge sind staatlicher Willkür ausgesetzt (Spiegel). Heute müssen Geflohene für jedes Familienmitglied eine Art Steuer an den Staat abführen, so dass viele gezwungen sind, das Land aus Not wieder zu verlassen, wie mein Freund A. mir erzählte. Sein Bruder und seine Mutter lebten dort und sind nun in den Krieg nach Syrien zurückgekehrt.
5. Sie sollten wissen, ein Gast in der arabisch-islamischen Welt ist ein edler Gefangener seines Gastgebers. Die bürgerliche Gesellschaft achtet die Würde, auch die des Fremden, daher sind sie keine Gefangenen, sondern Gäste mit beschränkten Rechten. Ein Weiser wirft keinen Stein in den Brunnen, aus dem er trank.
Dass Geflohene aus Syrien und dem Irak in Deutschland generell als Gäste behandelt werden, kann ich nicht erkennen. Sie sind Bittsteller mit durch Gesetz und das Verhalten der jeweiligen verantwortlichen Bürokraten eingeschränkten Rechten.Einige Menschen in meiner Umgebung nehmen sie jedoch als Gäste war oder wurden gute Freunde.