Seit fast zwei Jahren helfe ich aus dem Krieg in Syrien Geflohenen, in unserer kleinen Stadt leben zu können. Es sind Menschen anderen Aussehens, Frauen oft mit Kopftüchern. Sie sprechen eine uns bisher unbekannte Sprache, schreiben eine Schrift, die an Spuren merkwürdiger kleiner Tiere im Sand erinnert. Die Menschen erscheinen uns fremd, werden von vielen hier mit abwertender Distanz gesehen, von einigen mit Ängstlichkeit, von wenigen mit offener Ablehnung.
Ich werde versuchen, Erfahrungen mit diesen Menschen zu schildern, mir über mein eigenes Bild von ihnen klar zu werden, meine Erwartungen an sie zu formulieren, werde Erlebnisse schildern und Fragen stellen.
Die neuen Nachbarn aus Syrien, dem Irak und aus Afghanistan sind nicht die ersten Flüchtlinge in Mecklenburg. Auch ich war einer von denen, die 1945 aus dem Osten kamen und hier ohne Hab und Gut strandeten.
Meine Mutter war mit uns Kindern vor dem heranrückenden Krieg geflohen, ohne Dach über dem Kopf, ohne zu wissen, was ihre Familie erwartet. Wir fanden ein Quartier zusammen mit zwei anderen Familien in einer Zwei-Zimmer-Wohnung in einem kleinen Dorf Westmecklenburgs. Eine Wäscheleine mit darüber hängender Pferdedecke markierte den Familienraum. Wir wurden als Fremde angesehen. Wenn wir auch Deutsch sprachen, klangen wir doch fremd mit der Mundart aus dem Osten und willkommen waren wir nicht.
Die Frau eines benachbarten Bauern nahm sich unser an. Sie brachte Teller und Tassen, wärmende Decken für die Nacht, das Nötigste zum Leben und das Wichtigste: menschliche Zuwendung. Wir verdanken ihr sehr viel – vielleicht das Überleben.
Siebzig Jahre später kamen wieder Kriegsflüchtlinge nach Mecklenburg, auch sie ohne materielle Habe und auf Hilfe angewiesen. Sie brauchten Dinge des täglichen Lebens, Wohnraum und menschliche Nähe. Das Nötigste bekamen sie vom Staat: eine Unterkunft, ebenso erste Hilfestellungen durch Sozialarbeiter und staatliche Institutionen, etwas Geld zum Leben. Hilfe gab es auch durch Freiwillige, die aus unterschiedlichsten Motiven den neuen Nachbarn beistehen wollten.
Ich machte mit, weil die Zeit unserer Ankunft in der Fremde mich geprägt hatte. Ich helfe in der Hoffnung, die Kinder der hierher Gekommenen werden sich eines Tages an mich erinnern, wenn Menschen aus Not fliehen müssen und Hilfe brauchen. Sie werden weitergeben, was sie bekamen, so wie ich weitergebe, was meine Familie vor siebzig Jahren von unserer Nachbarin bekam.