Die Baltische Leinenmanufaktur Compagnie “Kengeragge” (BLM)
im Spiegel von drei Generationen der Familie Burmeister

(Zusammengestellt von Adolf Burmeister gest. 2.10.1969)

(Die Rechtschreibung wurde beibehalten)

Adolf Julius Burmeister ist am 1.6.1815 auf dem väterlichen Gut Schmieden Im Kreis Jakobstadt in Kurland geboren. 1817 starb sein Vater, im Jahre 1828 verkaufte seine Mutter, Frau Helene Burmeister, das Gut Schmieden und übersiedelte mit ihren unmündigen Kindern nach Riga, wo sie leichter ihnen gute Ausbildungen geben konnte.

Nach der Schulzeit bekam Adolf Burmeister eine kaufmännische Ausbildung im Großhandel und Export im Geschäft seines Bruders Friedrich Burmeister. Hier lernte er den Flachshandel kennen, so wie die Eigenarten des Flachses. Der Flachs wurde von den baltischen Gütern gekauft, desgleichen auch in Litauen und den angrenzenden russischen Gouvernements und ins Ausland exportiert.
Aus Gesundheitsgründen mußte Adolf Burmeister das Stadtleben aufgeben. Wohl angeregt durch seinen Schwiegervater, der gleich seinem Vater Landwirt war, kaufte Adolf Burmeister 1855 das Gut Ramenhof im rigaschen Kreise und bewirtschaftete dasselbe. 1859 ist Adolf Burmeister wieder in Riga, sein Gut verkaufte er und gründete zusammen mit seinen Gildenbrüdern, dem Ältesten der Großen (Marien) Gilde in Riga, Wilhelm Bockslaff, und Julius Fastena die BLM.
Es wurde die aus konjunkturellen Gründen aus dem Betrieb gesetzte Branden-burgsche Zuckerfabrik gekauft. In der Mitte des 19. Jahrhunderts verdrängt die Zuckerrübe das Zuckerrohr, Dieses Fabrikobjekt lag ca. 6 km oberhalb Rigas am rechten Dünaufer. In diesen Räumen wurde als erstes eine Flachshechelei und Spinnerei eingerichtet. Die Fabrik lag im Fischerdorf Kengeragge, lettisch “Kengerags“, welches später ins rigasche Stadtgebiet einbezogen wurde. Bei Kengeragge trat die Düna aus ihren höheren Ufern, hier begann das Dünadelta. “Kengis” heißt im Lettischen der männliche Lachs, und “rags” heißt Fels oder Horn, also Kengerags = “Lachshorn”. Es ist wohl anzunehmen, daß der Lachs bis Kengeragge die Düna aufwärts schwamm und hier einen Laichplatz hatte.

Die Satzungen der BLM wurden am 27.11 1859 allerhöchst bestätigt. Adolf Burmeister wurde zum Leiter der BLM bestimmt. Den Flachs kaufte er – wie früher bei seinem Bruder – bei den baltischen Gütern, in Litauen und in den angrenzenden russischen Gouvernements. 1865 wurde der günstig arbeitenden Hechelei und Spinnerei eine Leinenweberei angeschlossen. Wenige Jahre später wurde auch eine Bleicherei eingerichtet. In der damaligen Zeit spielte die Sonnen-bleiche noch eine große Rolle. Da in zu großer Stadtnähe der Staub, besonders der Kohlenstaub sehr störend für die auf dem Rasen zum Sonnen-bleichen ausgebreiteten Linnen war, wurde für die Bleicherei das oberhalb, auch an der Düna ca. 2,5 km von der Hauptfabrik entfernt gelegene Gütchen Göttlingshof gekauft und hier die Bleiche eingerichtet.

Die in der BLM produzierte Ware – Flachsgarne und Leinwand – fand nicht nur in den Baltischen Provinzen einen guten Absatz, sie wurde auch in ganz Russland gerne gekauft. Sehr viel Ware ging nach Moskau so wie nach Lodz. Auch der Export, besonders nach England, nahm von Jahr zu Jahr zu. In England ebenso wie in Lodz wurden die Leinengarne mit der Baumwolle zusammen verwebt und die damals beliebten “Halbleinen” verkauft.

1872 brach im Obergeschoss der Spinnerei ein vernichtender Brand aus. Beim Wiederaufbau wurden Erweiterungen durchgeführt, auch im Dachgeschoss wurde eine Arbeitsstätte geschaffen. Zusammen mit der Erweiterung der Fabrik-anlanlagen und der Vergrösserung des Umsatzes mußte auch das Aktienkapital mehrfach erhöht werden. Als Folge dieser Erweiterungen konnte Adolf Burmeister, der in Riga in seinem Geschäftshause wohnte, den Betrieb nicht mehr genügend übersehen. Die BLM brauchte einen Fabrikdirektor, der auch bei der Fabrik wohnt. Als solcher wurde Adolf Burmeister’s Sohn, der Ingenieur Technolog (gleich dem reichsdeutschen Dipl. Ing.) Theodor Burmeister angestellt. 1881 trat Theodor Burmeister diesen Posten an und nahm in Kengeragge Wohnung.

Als nächstes Bauvorhaben war ein Neubau der Hechelei geplant, doch erlebte Adolf Burmeister dessen Durchführung nicht mehr. Am 10.1.1884 starb Adolf Burmeister an einer Lungenentzündung.
Außer der Leitung der BLM war Adolf Burmeister als Großkaufmann tätig. Er war auch durch Jahre, wenn nicht durch Jahrzehnte Direktor des Rigaer Stadtkassen-collegiums. Seine Bestattung fand von der Domkirche aus statt. Nach dem Tode von Adolf Burmeister übernahm sein Sohn Theodor die Gesamtleitung der BLM als deren disponierender Direktor. In die Direktion wählten die Aktionäre neben Theodor Burmeister noch Jakob Erhardt, den späteren Stadtrat, sowie den Inhaber der Korkenfabrik Carl Gustav von Sengbusch. Letzteren hatte Adolf Burmeister schon als Beirat.

Theodor Arnold Adolf Burmeister – ein Sohn von Adolf Burmeister ist am 19.7.1853 in Sassenhof, damals bei Riga, später wurde es ins rigaer Stadtgebiet einbezogen, geboren. Sassenhof war damals Sommersitz seiner Eltern. Nach der Absolvierung des Rigaer Stadtgymnasiums studierte er Maschinenbau in Riga und in Aachen. In Riga gehörte er der Studentenkorporation “Fraternitas Baltica” an. Anschliessend an das Studium leistete Theodor Burmeister seine Wehrpflicht als diese Gehilfe des Waffenmeisters ab. Als diese Zeit um war, kam Theodor nach Riga zurück. Um seinem Sohn eine Tätigkeit zu ermöglichen gründete sein Vater Adolf Burmeister mit ihm eine Glasfabrik “Adolf Burmeister und Sohn”. Die Glashütte lag in Pinken-hof an der Kurländischen Aa, nicht weit oberhalb deren Durchbruch in den Rigaer Meerbusen. Nach wenigen Jahren wurde dieses Unternehmen wieder liquidiert, da Theodor Burmeister als Fabrikingenieur der BLM nach Kengeragge berufen wurde. 1881 übersiedelte er dorthin.
Nach dem Tode seines Vaters wurde Theodor Burmeister die Gesamtleitung der BLM als diesponierender Direktor übertragen. Er wurde mit Jakob Erhardt und Carl Gustav von Sengbusch in die Direktion der BLM gewählt.

Als erstes Bauvorhaben führte Theodor Burmeister gleich nach 1884 den schon von seinem Vater geplanten Neubau einer Hechelei durch. Unter seiner Leitung entwickelte sich die BLM weiterhin gut. Der wurde erweitert, der Umsatz stieg, das Aktienkapital mußte vergrößert werden. 1897 wurde in einem großen Anbau die Kapazität der Weberei verdoppelt. Im gleichen Jahre bekam auch die Vor-spinnerei einen Anbau – Dementsprechend mußten auch die Bleichen erweitert werden. Dort entstand ein großer Neubau, eine neue Kesselanlage für eine neue Dampfmaschine und neue Dampfmangel wurde aufgestellt. Das ganze Bleich-verfahren wurde zeitentsprechend modernisiert. Im Zusammenhang mit der Vergrösserung des Betriebes in der Hauptfabrik wurde damals die Antriebskraft mit einem neu entwickelten Gasmotor ergänzt.

1900 erfuhr das “Verwaltungsgebäude, das “Kontor” und die Direktorwohnung, eine große Erweiterung. Das alte hohe Giebeldach (das Gebäude stammte aus dem Jahre 1824) mit den gemütlichen Mansardenzimmern wurde abgetragen. Das Haus erhielt einen voll ausgebauten oberen Stock und einen großen Anbau. Im ganzen Hause wurde Zentralheizung eingebaut. Damals wurde auch die Arbeiter-kolonie durch ein weiteres 12-Familienhaus erweitert. Entsprechend des vergrößerten Betriebes waren zwei geräumige Speicher errichtet worden.

Durch das ständige Wachsen des Betriebes der BLM entstand das Erfordernis nach einem Betriebsingenieur. 1906 beendete der älteste Sohn von Theodor Burmeister Karl an der Dresdener TH als Dipl.Ing. sein Studium. Er wurde an der BLM als Betriebsingenieur angestellt. Karl Burmeister als junger Ingenieur half seinem Vater viel bei den Modernisierungen des Betriebes. Als 1910 Theodor Burmeister von der Baltischen Cellulosefabrik, zu deren Gründern und Direktion er gehörte, mehr in Anspruch genommen wurde, überlies er seinem Sohn Karl als Fabrikdirektor die Fabrikleitung der BIM. Die Gesamtleitung des Betriebes bleibt bis zu seinem Tode in seiner Hand. Auch war Theodor Burmeister im Aufsichtsrat der Sassenhofer Maschinen- und Transmissionenfabrik “Motor”. Nachdem 1912 der offene Kommanditist des “Motor” starb, übernahm Theodor Burmeister diesen Posten.

Als 1915 im ersten Weltkrieg die Deutschen Truppen in Richtung Riga vorrückten und es den Anschein hatte, dass Riga für Russland verlorengeht, befahl die russische Regierung, die Industrie Rigas stillzulegen und zu vernichten, Maschinen nach Möglichkeit ins Innere des russischen Reiches zu evakuieren. Die Betriebe der BLM und der Balt. Zellulosefabrik wurden zerstört, viele Maschinen, von anderen Maschinen einzelne Teile, mußten evakuiert werden. “Motor”, da kriegswichtig – dort wurden Flugzeugmotore gebaut – mußte den Betrieb verlegen. In Moskau wurde ein geeignetes Grundstück erworben und der Betrieb dorthin verlegt. Da Theodor Burmeister wegen der anderen unter seiner Leitung stehenden Betriebe nicht selbst nach Moskau übersiedeln konnte und es auch selbst gar nicht wollte, setze er in Moskau einen dreigliedrigen Verwaltungsrat ein, der Prokura erhielt. Zu diesem Verwaltungsrat gehörten der Oberingenieur, der Bilanzbuchhalter und stud.ing. Erich Burmeister, ein Sohn Theodor Burmeisters als persönlicher Vertrauensmann seines Vaters. Erich Burmeister studierte damals in Brünn und war durch den Krieg gezwungen sein Studium zu unterbrechen.

Als der Krieg vorüber war und der Freistaat Lettland entstanden war, hieß es für Theodor Burmeister die Betriebe der BLM und der Balt. Zellulosefabrik wieder zu erneuern. Erst begann er mit dem Wiederaufbau der Balt. Zellulosefabrik, er mittelte neues Kapital.
Die BLM wieder in Betrieb zu setzen, war ihm nicht mehr vergönnt. Am 10.4.1921 starb er am Darmkrebs.

Karl Adolf Burmeister, der älteste Sohn von Theodor Burmeister, ist am 23.September 1882 in Riga-Kengeragge geboren. Nach der Absolvierung der Rigaer Stadt-Realschule studierte er in Dresden an der TH Maschinenbau. 1906 kehrte er als Dipl.Ing. in die Heimat zurück und wurde als Fabriksingenieur bei der BIM angestellt.

Eine ganze Reihe Erneuerungen wurden auf seine Initiative und unter seiner Leitung durchgeführt, der Maschinenpark wurde ergänzt, alte Maschinen durch neue ersetzt. Seine Hauptleistung war wohl die Umstellung des ganzen Betriebes vom Transmissionsantrieb auf Einzelantrieb mit einzelnen Elektromotoren, wobei eine Drosselung des Betriebes nicht merkbar wurde. Ein neuer Dampfkessel, eine neue Dampfmaschine und ein Generator wurden aufgestellt.

Als sein Vater, Theodor Burmeister, durch anderweitige Pflichten stärker in Anspruch genommen wurde, übergab er Karl Burmeister die Leitung der Fabrik als Fabrikdirektor. Leider konnte Karl Burmeister nur wenige Jahre diesen verantwortungsvollen Posten bekleiden. 1915, als im I. Weltkrieg die deutschen Truppen auf Riga vorrückten, wurde auf höchsten Befehl die blühende Industrie Rigas stillgelegt. Wie schon vor berichtet, mußte die Fabrik demontiert werden. So fiel Karl Burmeister die traurige Aufgabe zu, das Werk seiner Väter zu zerstören und abzutransportieren. Nachdem diese Aufgabe beendet war, war auch seine Arbeit bei der BLM einstweilen beendigt. Die Verantwartung für den in Riga zurückgebliebenen Besitz der BLM hatte sein Vater.

Karl Burmeister wendete sich einer anderen Aufgabe zu. Die Rigaer Jutemanufaktur evakuierte ihren Betrieb ins Innere Russlands. In Puschino bei Moskau baute sie wieder ihre Fabrik auf. Zur Einrichtung und zur technischen Leitung dieser Fabrik in Puschino wurde Karl Burmeister als Fabrikingenieur angestellt.

Nach dem Kriege lebte die Rigaer Industrie im neuen Staate Lettland wieder auf. Bei dem Neuaufnau der Baltischen Zellulosefabrik in Schlock bei Riga wurde Karl als Oberingnieur angestellt.

Als Theodor Burmeister 1921 starb, übernahm Karl Burmeister die Sorge und Verantwortung für das Geschick der BLM. Da er selbst in Schlock beim Aufbau der Balt. Zellulosefabrik massgebend mitarbeitete, so bat er seinen damals in Österreich lebenden Bruder in die Heimat zurückzukommen und sich in Kengeragge niederzulassen, und sich mit ihm um einen Neubeginn des Betriebes der BLM zu bemühen. Doch leider konnte Karl die Ingangsetzung des Betriebes der BLM nicht erleben. Er starb am 2.3.1923.

Adolf Philipp Burmeister ist am 28.7.1887 gleich seinen Geschwistern in Riga-Kengeragge geboren. Er ging nach der Absolvierung der Rigaer Stadt-Realschule auf die Universität Dorpat. Er hatte die Absicht, Medizin zu studieren, doch wegen Überfüllung der Fakultät wurde er hierfür nicht aufgenommen. So meldete er sich in der physik-mathematischen Fakultät und begann dieses Studium. Bedingt durch den Wehrdienst mußte er das Studium unterbrechen. Er setzte sein Studium in Wien an der Hochschule für Bodenkultur fort. Im Februar 1914 wurde er als Kulturingenieur beim Livländischen Landeskulturbüro der Livländischen Oekonomischen Societät mit dem Sitz in Dorpat angestellt.

Als am 1.August 1914 der I. Weltkrieg erklärt war, wurde Adolf Burmeister bei der ersten Mobilmachung Russlands ins Heer einberufen. Nach Ausbruch der bolschewistischen Oktoberrevolution in Russland und dem Sturz des Zaren kehrte er in die Heimat zurück.
Das Baltikum war damals von den Deutschen besetzt. November 1918 wurde der Staat Lettland proklamiert, jedoch war noch nicht an einen Wiederaufbau der BLM zu denken. Er ging daher im Frühjahr 1919 nach Niederösterreich, wo er in der Landwirtschaft tätig war. Wie schon vor erwähnt, kam er nach dem Tode seines Vaters auf Wunsch seines Bruders Karl im Frühjahr 1922 zurück. Er ließ sich in Kengegagge nieder und richtete auf dem ca. 25 ha großem Gelände der BLM einen Landwirtschaftsbetrieb ein.

Die Brüder Karl und Adolf überlegten, mit was für einer Industrie die durch die Evakuation leer gewordenen und durch die Kriegseinwirkungen und den verschiedenen Einquatierungen stark zerstörten Immibilien am besten zu verwerten seien. Das Wiedererstehenlassen eines gleichen Betriebes wie vor dem Kriege kam nicht mehr in Frage. Dieses war aus Kapitalmangel absolut unmöglich. 1915 wurden gleichzeitig mit der Industrie auch die Rigaer Banken ins Innere Russlands evakuiert. Die Bolschwiken, welche nach dem Kriege Russland beherrschten, gaben keine Bankguthaben heraus. Die veränderten politischen Verhältnisse hätten auch die wirtschaftlichen Erfolge sehr in Frage gestellt. Gegen Russland, Estland und Litauen waren Staatsgrenzen entstanden, durch die das frühere Wirtschaftsgebiet der BLM zerstückelt war. Zollmauern erschwerten die Beschaffung des Rohstoffes und den Absatz der Fertigware.
Noch ein weiterer Faktor wäre bei einer Neuerrichtung der Flachsindustrie störend gewesen – eine starke Konkurrenz hatte bekämpft werden müssen. In Mitau hatten bereits die Gebrüder Hoff, denen unbegrenzte Kredite aus England zur Verfügung standen, mit dem Aufbau einer Flachsspinnerei im großen Ausmaß begonnen.

Bevor die Brüder Karl und Adolf noch einen endgültigen Beschluß gefaßt hatten, wie der Besitz der BLM am zweckdienlichsten mit den zur Verfügung stehenden Mitteln verwendet werden könnte, starb Karl ganz plötzlich am 2.3.1923.

Seit dem Tode von Adolf Julius Burmeister 1884 bestand die Direktion der BLM aus ihrem disponierenden Direktor – Theodor Burmeister, dem Rigaer Stadtrat Jacob Erhardt und dem rigaer Korkenfabrikanten Carl Gustav von Sengbusch. Im jährlichen Turnus wurden diese drei Herren auf je drei Jahre immer wieder gewählt. Das lief so bis zur Generalversammlung der BLM im Jahre 1918. Wegen der unruhigen Zeiten waren die Aktionäre nach 1918 nicht mehr zu einer Generalversammlung zusammengekommen. Manche Aktionäre waren auch gar nicht mehr in Riga. 1921 war Theodor Burmeister gestorben, die Mandate der beiden anderen Direktoren waren abgelaufen. So hatte die BLM damals 1923/24 überhaupt keine rechtmässige Verwaltung.
Um aus dieser unhaltbaren Lage herauszukommen und um zu beschließen, was mit der BLM weiter geschehen soll, beschlossen Jakob Erhardt, Carl-Gustav von Sengbusch und Adolf Burmeister eine Generalversammlung einzuberufen. Diese Generalversammlung tagte am 24.Mai 1924. Bei der Aufstellung der Kandidaten für die Neuwahl der Direktion, lehnten Jakob Erhardt und Carl-Gustav von Sengbusch aus Altersgründen eine Kandidatur ab. Zum neuen Präses wurde Dr. rer. nat. Robert Erhardt, zum stellvertretenden Präses und disponierenden Direktor Adolf Burmeister und zum 3. Direktionsmitglied Theodor Eberhard Pychlau gewählt. Dr,Robert Erhardt war ein Sohn des Jakob Erhardt und Th.E.Pychlau ein Verwandter von C.G.v.Sengbusch, er war Rigaer Kaufmann.

Dr. Robert Erhardt war ein erfahrener Geschäftsmann. Vor dem 1.Weltkrieg war er Dumaabgeordneter der Stadt Riga in der Reichsduma in Petersburg. In Lettland war er Finanzminister bis er durch lettische nationalistische Strömungen durch einen Letten ersetzt wurde. Dr.R.Erhardt erwies sich für Adolf Burmeister als tüchtiger kaufmännischer Lehrmeister, geanz besonders gerade in finanziellen Angelegenheiten. Er war ein vorzüglicher Geschäftsmann und Berater. Im Zukunftsproblem für die BLM stellte sich Dr.Erhardt auf den gleichen Standpunkt, welchen Karl und Adolf Burmeister bereits eingenommen hatten, daß ein Neuentstehen einer Flachsindustrie für die BLM nicht in Frage kommt.

Es wurde beschlossen, einen oder auch mehrere kleinere Produktionszweige aufzunehmen, die für die einheimische lettische Wirtschaft interessant sind durch Eindämmung von Valutaabfluß. Nach 1924 gelang es, günstig an die Gummifabrik Quadrat den halben Bleichhof zu verkaufenden, 2,5 km oberhalb an der Düna gelegenen. Die BLM hatte genügend Gelände und Räume in und bei dem Hauptwerk. Als erstes wurden die Aufräumungs- und Instandsetzungsarbeiten in den Gebäuden, die Adolf Burmeister bald nach seiner Rückkehr nach Kengeragge in Angriff genommen hatte, fortgesetzt. Die in der Fabrik in Kengeragge verbliebenen Maschinen und Maschinenteile wurden verkauft.

Obgleich die BLM durch die Zerstörungen des Krieges, besonders durch die Evakuierung große Werte verloren hatte, so war doch das volle Aktienkapital durch den in Riga verbliebenen Besitz der BLM reichlich gedeckt. Allein der Wert des ausgedehnten Grundbesitzes der BLM war im Laufe der Jahrzehnte durch stark gestiegene Bodenwerte stark vergrößert. Doch zum Wiederaufbau des Betriebes war Bargeld nötig. Um dieses zu beschaffen, wurden neue Aktien herausgegeben und um deren Wert das Aktienkapital vergrößert. Die neuen Aktien waren Prioritätsaktien mit einer garantierten Dividende von 8% jährlich. Im Verhältnis der Größe der Aktienpakete der einzelnen alten Aktionäre wurden diesen Prioritätsaktien angeboten. Durch Verteilung der neuen Aktien unter den alten Aktionären wurde verhindert, daß neue – der BLM fremde – Aktionäre hinzukamen. Nun konnte mit dem Neuaufbau begonnen werden.

Als erstes Industrieunternehmen richtete Adolf Burmeister eine mechanische Netzfabrik ein. Lettland hatte große Küstengebiete, auch viele Binnenseen und Flüsse und daher eine ausgedehnte Fischerei. Da es jedoch bis dahin keine einheimische Netzindustrie gab, mußten alle Netze importiert werden. Zur besseren Belieferung der Fischer richtete die BLM in Riga am Rathausplatz ein Verkaufsgeschäft ein. Dieses Geschäft lag neben dem Rathaus an der Schaalstraße, der direkten Verbindung zum Dünakai sehr günstig, da die
Fischer am Kai ihre Boote anlegten, wenn sie in die Stadt gingen. Die kleinmaschigen Netze wurden auch gerne für Filetarbeiten – Gardinen, Decken u.a. – verwendet.

Als weiterer Betrieb wurde eine Schlauchweberei eingerichtet. Die Hauptabnehmer für die Schläuche waren die Feuerwehren, doch auch Gärtner, Hausbesitzer und die Industrie benötigten Schläuche.
Es folgte eine Schnellflechterei für Leinen und starke Schnüre. Hier erweiterte sich der Kundenkreis – die Feuerwehren bezogen ihre Leinen, die Fuhrunter-nehmer die Jageleinen und Stricke zum Verschnüren der Fuder, Waschanstalten und Haushalte die Wäscheleinen, Angler und Fischer die Angelschnüre.

Räume, für welche noch keine Verwendung gefunden war, wurden verpachtet.

Als 1939 die Umsiedlung kam, hatte die BLM einen guten Wirtschaftsstatus. Im Zusammenhang mit der Umsiedlung wurden die gut angelaufenen Betriebe der BLM nicht stillgelegt, sondern in Zusammenarbeit mit dem lettischen Landwirt-schaftsministerium (Fischereiressort) ein lettischer geschäftsführender Direktor angestellt, auch eine Direktion aus Letten wurde gewählt. So ging die Arbeit
in der BLM ungestört weiter als Adolf Burmeister am 5.12.1939 im Rahmen der Umsiedlung Riga und damit auch das Werk seiner Vorfahren verließ.

PS. Durch einen Nachruf zum Tode von Adolf Burmeister in ihrer Zeitung “Latvija” wurde von lettischer Seite der Wiederaufbau der BLM zum Nutzen des lettischen Staates durch ihn gewürdigt.