Die Reise 2015

Līgatne – Ligat

Der 27. Juni war der Siebenschläfertag, für uns aber ein herrlicher Sonnentag und recht warm. Wir fuhren nach Līgatne. Da wir beide aus den „Erinnerungen“ des Vaters die Wegbeschreibung von der alten (ehemaligen) Bahnstation bis zum Burmeisterschen Haus kannten, aber nicht so recht sicher waren, ob wir einst tatsächlich den beschriebenen Weg abgefahren waren, hatten wir uns entschieden, die zweite Zufahrt nach Līgatne zu nehmen, die Straße über Kempji (Kempenhof).

Dieser andere Weg schlängelte sich ebenso wie beschrieben, talwärts. Wir kamen auch an einem alten Friedhof vorbei, besuchten ihn, sahen Felsen und einen Bach, dazu ein Stauwehr, von der Baron W. Schilling in seinen „Erinnerungen“ schrieb, es sei „die so genannte Oberschleuse an der Kempenhofschen Grenze“, von wo sich ein Kanal abzweigt. Dies alles hätte nach der Wegbeschreibung auch stimmen können, doch kamen uns Zweifel, denn die „Stauung“, der alte Mühlenteich, lag links, nicht rechts, so dass die „Pferde“ in im Bericht unseres Vaters rechts herum hätten laufen müssen. Und schließlich fehlte mir der Hohlweg, der von rechts hätte herunterführen müssen. Dass die beiden alten Bäume nicht mehr existierten, könnte man ja verstehen, waren doch viele Jahre verstrichen, in denen wer weiß, was alles passiert sein wird, doch reimte sich eben nicht alles zusammen.

Zwei Wege nach Ligat

Wir fuhren zwar erst noch zum Elternhaus unseres Vaters, weiter zur Fähre und danach noch ein schönes Stück durch den Wald zur Amata wegen der Felsen an der Gauja (davon später), suchten dann aber noch einmal nach einer Stelle, jenseits der Fernverkehrsstraße, wo der alte Bahnhof in Augšlīgatne hätte sein können. Dort aber lagen die Bahngleise in einer Senke, so dass ein Bahnhof und eine Zufahrt für die Pferdewagen gar nicht hingepasst hätten. Also beschlossen wir, als Ausgangspunkt wieder die Stelle anzufahren, wo wir schon bei einer früheren Reise den Bahnhof in Gedanken hin versetzt hatten, linksseitig der Fernverkehrsstraße von Sigulda aus gesehen, also bevor die Schienen die Straße kreuzend unterführen. Es gibt einen schrägen Weg an alten Häusern vorbei Richtung Līgatne, der auch am ehemaligen Gut Paltemal vorbeiführt und dann auf die größere Fahrstraße trifft. Dort begegnete uns ein jüngerer Mann, der als Anhalter nach Līgatne gebracht werden wollte. Wir nahmen ihn mit. Jörn sprach mit ihm russisch, was ganz gut funktionierte und erzählte von unserem Großvater. Der Lette freute sich, mitgenommen zu werden und berichtete von einem sehr alten Friedhof in der Nähe unserer Fahrstrecke, auf dem ein Gedenkstein für einen Direktor der Papierfabrik steht. Wir fuhren dorthin und besuchten gemeinsam den Friedhof. Hier gab es tatsächlich eine kleine Pyramide für einen ehemaligen Direktor der Papierfabrik, vermutlich einen der Gründungsväter, die Tafel war nicht mehr lesbar. Nun bekam alles einen Sinn. Allerdings haben wir ebenso hier wie auf dem anderen Friedhof kein Grab unseres Großvaters, Georg Adolph Burmeister (1866-1936), gefunden. Jedoch wird er sicherlich in Līgatne begraben worden sein, nicht bei der Kirche in Kempji, wie ich einst dachte. Weiter hinunter nach Līgatne glaubte ich, den Hohlweg von rechts kommend zu erkennen. Wir fanden auch den „Kaprivifelsen“ und die „Stauung“ rechts, dazu die Abbiegung links, die die Pferde hätten nehmen müssen. Plötzlich stimmte alles, und wir waren es zufrieden.

Bevor wir also dieses zweite Mal den richtigen Weg gesucht haben, besuchten wir das Elternhaus unseres Vaters. Unabhängig voneinander waren wir schon einmal bei einer früheren Reise dort gewesen. Dieses Mal trafen wir einen freundlichen alten Mann auf dem Hof an, der, wie sich schnell herausstellte, gut deutsch verstand und sprechen konnte. Er lebt seit 1945 in dem Haus, das er inzwischen gekauft hat. Dieser Herr nun, inzwischen 84 Jahre alt, war als Junge mit seinen Eltern vor der Roten Armee nach Dresden geflüchtet und hat dort den Krieg überlebt, und als die Sowjets auch dort einrückten, haben sie ihn nach Lettland zurückgeschickt. Er hat dann in Riga Chemie studiert und ist ausgerechnet Papierchemiker in der Ligater Papierfabrik geworden. Wir haben uns lange unterhalten. Er interessierte sich auch für unsere Geschichte und natürlich für die unseres Vaters in dem Hause. Wir gingen mit ihm durch den recht gepflegten Garten und schließlich lud er uns sogar ein, einen kleinen Blick in seine Wohnung zu werfen. Wir gingen die Stufen hoch und in die „Paradetür“ hinein, wie der Vater den Eingang genannt hatte und kamen durch den kleinen Vorraum in das erste Zimmer, einen nicht sehr großen Raum. Möglicherweise hatte es hier einen Umbau gegeben, denn der Vater schreibt, dass hier die Gäste begrüßt worden seien, so hatte ich mir einen größeren Wohnraum vorgestellt. Wie dem auch sei, wir konnten einen kleinen Einblick nehmen und an unsere Vorfahren denken, ihnen sozusagen nahe sein.

Wir fuhren über den „Remdenberg“ zur Gauja, verweilten etwas an der Fähre (Prahm), die immer noch, wie eh und je, ohne eigenen Antrieb funktioniert, bewegt durch die Strömung an einem dicken Seil, das über den Fluss gespannt ist. Meinen langhegten Wusch, den roten Zvārtes-Felsen an der Amata, ein Nebenfluss der Gauja, zu sehen, konnten wir uns erfüllen. Diesen Felsen hatte ich als Kind einmal nach einem alten Schwarz-weiß-Foto mit Aquarell gemalt und ihn grau dargestellt. Dieses „Wai, Jungchen, der Felsen ist doch rot“ meines Vaters klingt mir noch heute in den Ohren. Wir fuhren entlang der Gauja bis zur der entsprechenden Abzweigung, waren vorher auch bei einem kurzen Halt zur Gauja hinunter gegangen. Überall sahen wir am gegenüberliegenden Ufer rote Felsen. Beeindruckend! Der Zvārtes-Felsen, ca. 35 m hoch, baumbewachsen und in der Amata sich spiegelnd, sticht aber alle anderen aus.

Der Weg zurück zur Fernverkehrsstraße A2 (Riga-Pskov) führte uns durch herrliches hügeliges Gelände, einst wohl Wandergebiet unseres Vaters. Von dort aus fuhren wir dann nochmal, wie oben beschrieben, nach Līgatne zurück, um den Weg, den der Unternehmer Spink einstmals gebaut hatte, zu erkunden.
Wir hätten nun noch nach Cēsis (Wenden) fahren können, waren aber doch rechtschaffen müde, hatten auch viel erforscht, was uns am Herzen lag. Cēsis kannten wir von den früheren Besuchen und der Ort war für uns dieses Mal nicht wichtig genug, nochmals dorthin zu fahren. Wir zogen es vor, unser Hotel in Sigulda aufzusuchen und einen ruhigen Abend zu genießen, war es doch auch unser letzter Abend in Lettland.